Kleine Werft-Anekdoten


Geschrieben von den Werftarbeitern

der

AG "Weser" Bremen

In dieser Rubrik werden Erinnerungen an

"Use Akschen"

wieder wach.

Ingo Schmidtborn
Ingo Schmidtborn

 

Die ersten 3 Monate

meiner Lehrzeit

als Schiffbauer bei der

 AG "Weser" Bremen

 

 

In der Zeit von April 1958 bis März 1961 habe ich auf der AG-Weser eine Schiffbauerlehre absolviert. In den ersten 3 Monaten unserer Lehrzeit wurden wir in der Lehrwerkstatt betreut und eingearbeitet. Dort standen die schätzungsweise 30 Lehrlinge eines Jahrgangs an einer langen Werkbank, jeder hatte einen Schraubstock vor sich und bekam ein ca. 7 cm langes, angerostetes Stück U-Eisen ausgehändigt mit der Aufgabe, dessen äußeren Oberflächen zunächst mit der Schruppfeile und dann mit der Feinfeile schön glänzend und genau winklig zu feilen. Das bedeutete, dass wir alle neun Stunden lang an dem Schraubstock stehen und feilen mussten. Für jemanden wie mich, der schon die Schule als ziemlich langweilig empfunden hatte, eine ungeheure Strapaze! Über uns schwebte eine große Normaluhr, deren Zeiger überhaupt nicht weiter rückten. Als sehr willkommene Abwechslung empfand ich es, wenn ich dazu eingeteilt würde, die Werkstatt auszufegen. Mit dieser ehrenvollen Aufgabe durfte 5 Minuten vor dem Feierabend begonnen werden.

 

Die Schiffbauer unterstanden dem Lehrgesellen, Herrn Sievers. Der hatte am Ende der Werkbank seinen Schreibtisch und wartete darauf, dass die Lehrlinge zu ihm kamen, wenn sie meinten ihr U-Eisen sei blank und winklig genug. Dann prüfte Herr Sievers die Winkligkeit und gab dem Lehrling das Werkstück zurück mit Bemerkungen, wie z.B. „da kann man ja noch eine Mütze zwischen U-Eisen und Winkel hindurchwerfen“ oder, wenn es etwas besser war, mit der Beurteilung „das geht ja so einijermooßen, aber …“ und dann musste man zurück an seinen Schraubstock und weiter feilen.

 

So ging das mindestens die ersten 14 Tage. Die härteste Zeit meines Lebens. Wozu das Ganze diente, ist mir bis heute nicht klar geworden. Während meiner ganzen Schiffbauerzeit habe ich nicht ein einziges Mal mit einer Feile arbeiten müssen.

 

Am anderen Ende der Lehrwerkstatt befand sich ein erhöhtes verglastes Meisterbüro in dem der grauhaarige Meister Müller thronte und das ganze überwachte. Von Zeit zu Zeit kam Herr Müller aus seinem Büro heraus und schritt schweigend die Reihe seiner Lehrlinge ab. Als er wieder einmal in meinem Rücken die Schraubstöcke passierte, bekam ich von seinem Knie einen Tritt in den Hintern mit der Anweisung nicht so hektisch, sondern gleichmäßiger zu feilen.

 

In der Hierarchie über dem Meister Müller war da noch der Ingenieur Segelken. Er war für uns Lehrlinge eigentlich nie zu sehen; sein Büro war stets geschlossen. Einmal wurden wir während der Arbeitszeit in unseren Pausenraum gebeten und dann kam Herr Segelken und hielt uns eine fürchterliche Standpauke, weil wir die Oberflächen der Tische, die mit neuem Resopal bezogen waren, zerkratzt hatten. Die Kratzer waren kaum zu erkennen und wir waren uns keiner Schuld bewusst, freuten uns jedoch über leider nur kurze Abwechslung, die uns seine Standpauke gewährte. Bei einer anderen Gelegenheit bat uns Herr Segelken in einen Schulungsraum im Keller des Personalgebäudes, wo er uns u.a. den Unterschied zwischen Grauguss und Temperguss erklärte. Auch wieder eine sehr willkommene Abwechslung.

 

So ging das die ersten 14 Tage. Dann kamen die Schiffbauer vorübergehend in die Schweißlehrwerkstatt, während die Maschinenbauer an der Drehbank ausgebildet wurden. Die Schweißerei fand ich schon sehr viel abwechslungsreicher. Die Schweißwerkstatt leitete Herr Pielsticker. Er war auch in der Gewerkschaft aktiv. Für ihn wohnte der Klassenfeind im Bremer Stadtteil Schwachhausen. Die Schwachhausener betitelt er immer als die „schwachsinnigen Hausener“. Wir wohnten damals in Schwachhausen und ich fühlte mich durch seinen Titel eher geehrt als beschämt.

 

Nach der Schweißwerkstatt ging es wieder zurück in die Lehrwerkstatt, und nun durften wir Eisensägen, Stemmen und Gewindeschneiden lernen. Das war schon besser und inzwischen hatte ich mich auch allmählich an den 9-Stundentag gewöhnt.

 

Ja, so war das damals.

 

 

Ingo Schmidtborn, April 2019

 

Quellenangabe:

Foto und Text Ingo Schmidtborn